Interview von CNN Türk
mit Prof. h.c. Dr. jur. Abdurrahim Vural
Prof. h.c. Dr. jur. Abdurrahim Vural ist in Deutschland und in der Türkei eine bekannte Persönlichkeit. Viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fand sein unermüdliches Engagement zur Einführung des islamischen Religionsunterrichtes an deutschen Schulen. Ebenso nachdrücklich verfolgt er seit Jahren das Ziel, eine vollständige Anerkennung der islamischen Religion in der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Prof. h.c. Dr. jur. Abdurrahim Vural amtiert seit 1991als Präsident der Islamischen Religionsgemeinschaft, Bundeskörperschaft des öffentlichen Rechts, in Berlin.
Sein bisheriger Weg war nicht einfach und ist ungeachtet zahlreicher Erfolge auch von einigen Rückschlägen gekennzeichnet. Besonders hart trafen ihn die zwischenzeitlichen Ermittlungen der deutschen Justizbehörden. Jedoch wurde Prof. h.c. Dr. jur. Abdurrahim Vural in beiden Fällen schließlich vollständig von den Gerichten entlastet.
Herr Prof. h.c. Dr. jur. Vural, wir freuen uns sehr, dass Sie die Zeit für ein Interview mit uns gefunden haben.
Erzählen Sie uns bitte kurz etwas über ihren Werdegang.
Im Alter von 12 Jahren kam ich nach Deutschland und engagiere mich dort seit meinem 15. Lebensjahr in islamischen Gemeinden. Ich habe später in verschiedenen Gemeinden Ämter übernommen und konnte während dieser Zeit mit großem Einsatz zahlreiche Erfolge erreichen. Jedoch schafft der Erfolg stets auch Neider und man trifft auf Leute, die einem nicht wohlgesonnen sind.
ERFOLG SCHAFFT NEIDER
Können Sie das genauer erklären?
In meiner Zeit als Vorstandsmitglied und Justiziar bei der Islamischen Föderation in Berlin e.V. und im Islam Vakfi e.V. habe ich mir durch mein beherztes Eintreten nicht nur Freunde gemacht. Der jahrelange Einsatz um die öffentliche Anerkennung der Islamischen Föderation als Religionsgemeinschaft war durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, also der höchsten richterlichen Instanz der Bundesrepublik für Verwaltungsentscheidungen, schließlich von Erfolg gekrönt. Durch diese Anerkennung war es der Islamischen Föderation in Berlin e.V. seit dem Jahr 2000 an gestattet, als erste islamische Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland einen islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen von der 1. bis zur 13. Klasse anzubieten. Dieser Unterricht wird inzwischen von zahlreichen Schülern aller Klassenstufen besucht. Da die Islamische Föderation in Berlin e.V. als Religionsgemeinschaft für die Erteilung des Unterrichts Anspruch auf Fördermittel aus öffentlichen Haushalten hat, gab es in der Verwaltung und in der Öffentlichkeit natürlich viele Widerstände gegen den Unterricht. Das Grundgesetz in Deutschland verlangt aber Gleichberechtigung und gibt Religionsgemeinschaften das Recht Unterricht zu erteilen. Den islamischen Gemeinden steht also das gleiche Recht zu wie den anderen Religionsgemeinschaften. Dieses Recht haben wir vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolgreich eingeklagt. Als Justiziar der Islamischen Föderation hatte ich den entscheidenden Anteil an diesem historischen Erfolg.
Später war ich bestrebt, als Präsident der Islamischen Religionsgemeinschaft, die wiederholten Einflussversuche von Funktionären der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş bei der Islamischen Föderation in Berlin e.V. zu unterbinden. Dabei habe ich natürlich viele einflussreiche Personen sehr verärgert, die keine Gelegenheit ausließen, um mich fortan zu diskreditieren. Selbst Menschen, die ich jahrelang zu meinen Freunden zählte, ließen mich im Stich.
EIN ERPRESSTES GESTÄNDNIS
Heißt das, man wollte Ihren guten Ruf innerhalb der islamischen Gemeinschaft gezielt zustören?
Ja, genau diesen Plan verfolgten meine Gegner, die Aktivisten von Milli Görüş und auchislamfeindliche Kreise, die auf ihren Internetseiten gezielt falsche Informationen über mich und die Islamische Religionsgemeinschaft verbreitet haben. Die ständigen Verleumdungen und falschen Anschuldigungen führten dann dazu, dass die Staatsanwaltschaft begann gegen mich zu ermitteln.
Was wurde Ihnen vorgeworfen?
Nun, das Verfahren, dass im Jahr 2007 gegen mich geführt wurde, entsprach den geltenden Standards in der Bundesrepublik nicht. Die deutschen Justizbehörden haben im Rahmen dieses Verfahrens mehrfach geltende Rechtsnormen verletzt und mich unrechtmäßig in Untersuchungshaft festgehalten. Kennen Sie das deutsche Sprichwort „U-Haft schafft Rechtskraft“? Eine lange Untersuchungshaft zermürbt einen Menschen, ist eine enorme psychische Belastung. Durch die sehr eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten wird zudem die Erarbeitung einer effektiven Verteidigungsstrategie fast unmöglich gemacht. Ich habe in dieser scheinbar endlosen Zeit, die ich zu Unrecht dort inhaftiert war, sehr gelitten und wollte die Untersuchungshaft so schnell wie möglich beenden. In meiner Verzweiflung und unter enormen psychischen Druck habe ich dann ein falsches Geständnis abgelegt.
Wie lief der Prozess? Ist dort Ihre Unschuld denn nicht bewiesen worden?
Das dachte ich ja auch, ich habe mir schließlich nichts zu schulden kommen lassen. Doch ein faires Verfahren sieht anders aus. Grundlegende Normen wurden offensichtlich durch das Gericht und die Staatsanwaltschaft missachtet. Trotz entlastender Zeugenaussagen setzten die Richter und Staatsanwälte mich weiter unter enormen Druck, so dass ich schließlich auch bei Gericht das falsche Geständnis bestätigte. Anstelle der angeblich 100 anhängigen Verfahren, die mir die Staatsanwaltschaft vorwarf und als Angebot fallen lassen wollte, wenn ich gestehe, gab es ganze vier mittlerweile verjährte Verfahren wegen Beleidigung. Diese hätten jeweils maximal 1.000 Euro Geldstrafe zur Folge haben können, und nicht, wie durch die Staatsanwaltschaft behauptet, ein Strafmaß von 15 Jahren durch die angeblichen 100 Verfahren. Trotz dieser großen Ungerechtigkeit wurde ich zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Sind Sie in Revision gegangen?
Natürlich. In der Revisionsverhandlung vor dem Bundesgerichtshof wurde auch ein Teil der Beschlüsse aufgehoben, ein anderer Teil jedoch bestätigt. Die Haftstrafe wurde insgesamt etwas verkürzt.
DEN GLAUBEN NIE AUFGEGEBEN
Wie kam es dann, dass Sie wieder vollständig rehabilitiert wurden?
Ich gab den Kampf gegen diese Ungerechtigkeit nicht auf. Eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht wurde ohne Begründung zurückgewiesen, woraufhin ich mich dann mit einer Menschenrechtsbeschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wandte. Die Erfolgschancen dort liegen bei unter einem Prozent. Alle haben mir gesagt, dass der Prozess aussichtslos sein würde und mir abgeraten, diesen Weg zu gehen. Ich war aber weiter vom Glauben an Gerechtigkeit überzeugt!
Dass mein Glaube an die Gerechtigkeit richtig war, zeigt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Bundesrepublik Deutschland wurde gerügt, da das Verfahren und das Urteil gegen mich den elementaren Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entsprochen haben.
Welche Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention hat das Gericht dabei verletzt gesehen?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zum einen Verstoß gegen Artikel 6 festgestellt, der jedem Menschen das Recht auf ein faires Verfahren zuspricht, zum anderen auch einen Verstoß gegen Artikel 13. Dieser Artikel besagt, dass jedem Menschen das Recht auf eine wirksame Beschwerde zusteht. Als Konsequenz wurde die Bundesrepublik Deutschland zu einer finanziellen Entschädigung für Nicht-Vermögensschäden an meine Person verurteilt.
Wie hat die Öffentlichkeit auf Ihren Sieg vor Gericht und ihre Rehabilitation reagiert?
Dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofes fand in den Medien und in der Öffentlichkeit in Deutschland und Europa keinerlei Beachtung. Bedenken Sie, wie verschwindend gering meine Erfolgschancen waren. Ein Sieg in Straßburg muss doch eigentlich in den Medien gute Schlagzeilen bringen! Offensichtlich war man nicht gewillt, über meine Rehabilitation zu berichten, nachdem man mich während des Prozesses vorverurteilt hatte. Dies hätte ja bedeutet, die eigenen Artikel kritisch zu hinterfragen. Sie kennen sicher selbst das Sprichwort: „Only bad news are good news“. Die Presse lebt also von schlechten Nachrichten. Den guten Namen einer Person zu ruinieren, ist relativ einfach; ihn wieder herzustellen, nahezu unmöglich.
Wie ist es Ihnen dennoch gelungen, Ihren guten Ruf wieder zurückzugewinnen?
Der Weg war sehr schwierig. Ich entschied mich dazu, Anzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen und Zeitschriften zu veröffentlichen, die das Urteil des Europäischen Gerichtshofs und meine erfolgreiche Rehabilitation bekannt gaben. Auch im Internet gab ich Inserate in nahezu allen Weltsprachen in Auftrag, um möglichst viele Menschen erreichen zu können. Dies alles war sehr aufwändig und kostenintensiv. Ich habe all dies aus meiner eigenen Tasche bezahlt. Aber dies war der einzige Weg viele Menschen zu erreichen und meine Rehabilitation öffentlich zu machen. Die Annoncen in den Zeitungen und Zeitschriften und im Internet wurden von Millionen Menschen gelesen.
Wie ging es danach weiter? Zurück zur Tagesordnung und „business as usual“?
Nein. Nach der mehr als 9-monatigen Trennung von meiner Familie durch die Untersuchungshaft und die enorme psychische Belastung durch die Ungerechtigkeit und das unfaire Verfahren, fiel ich in eine Krise. Die weiter im Internet kursierenden Verleumdungen und Unwahrheiten, die immer noch die falschen Anschuldigungen verbreiteten, aber kein Wort über meine Rehabilitation verloren, setzten mir ebenfalls zu. Aber durch das große Vertrauen und den Rückhalt, den mir meine Freunde in der Islamischen Religionsgemeinschaft entgegenbrachten, entschloss ich mich, auch weiterhin als Präsident der Islamischen Religionsgemeinschaft zu amtieren und unser großes Ziel, die Anerkennung der Islamischen Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die sie ja in der DDR erlangt hatte, nun auch in der Bundesrepublik endgültig zu verwirklichen. Aus diesem Zuspruch konnte ich neue Kraft schöpfen und mich den Aufgaben wieder mit voller Energie widmen.
ES GEHT UM VIEL GELD
Warum ist die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts denn bislang noch nicht vollständig verwirklicht?
Nun, ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangte die Islamische Religionsgemeinschaft am 1. März 1990. Die Anerkennung erfolgte durch den Ministerrat der DDR, das höchste Gremium des Staates. Federführend war damals Lothar de Maizière als Minister für Kirchenfragen. Der Islamischen Religionsgemeinschaft wurde durch den Ministerratsbeschluss bestätigt, dass sie ihre Tätigkeit selbständig in voller Freiheit ausübt und Rechtsfähigkeit besitzt.
Im Einigungsvertrag wurde festgelegt, dass Verwaltungsakte – und um einen solchen handelt es sich bei der Anerkennung durch die oberste Stelle der DDR – auch nach der Wiedervereinigung weiter Bestand haben sollten. Diese Regelung findet sich in Artikel 19 des Einigungsvertrages. Damit kann sich die Islamische Religionsgemeinschaft also auch im wiedervereinten Deutschland auf ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts berufen. Obwohl mehrere Rechtsgutachten von Verfassungsrechtlern und Verfassungsrichtern unsere Auffassung bestätigt haben, verweigert uns die Berliner Senatsverwaltung bislang die vollständige Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Wir könnten den juristischen Weg über alle Instanzen gehen, doch das würde im besten Falle mehr als zehn Jahre in Anspruch nehmen, bis Rechtsklarheit besteht. Uns ist diese Frist eindeutig zu lang. Unser Alternativvorschlag war deshalb eine Verbotsverfügung der Berliner Senatsverwaltung gegen die Islamische Religionsgemeinschaft. Damit wäre der Weg für ein Eilverfahren frei gewesen und wir hätten binnen Jahresfrist eine rechtsverbindliche Entscheidung der deutschen Gerichte herbeiführen können. Doch diesen Vorschlag hat die Berliner Senatsverwaltung abgelehnt, da man die Konsequenzen scheut.
Was macht die Anerkennung für Sie so wichtig?
Die Öffentlichkeit und die Politik in Deutschland fordern von den Muslimen stets das Bekenntnis zu Demokratie und deutscher Gesellschaft. Das ist richtig, denn wer hier leben möchte, muss ein Teil Deutschlands werden. Dies heißt natürlich nicht, dass ein Muslim kein Muslim mehr sein darf. Der Islam ist Teil von Deutschland – das hat auch der Bundespräsident so treffend formuliert. Doch dazu müssen islamische Gemeinschaften eine Menge Gemeindearbeit leisten. Dies beginnt bei der Seelsorge, reicht über die Unterweisung der Gläubigen in religiösen Fragen bis hinzu Hausaufgabenhilfen, Beratungsdiensten und anderen Angeboten. Das Spektrum ist sehr groß. Doch dazu bedarf es professioneller Strukturen, die eine Planungssicherheit für langfristige Arbeit erlauben. All das wird möglich, wenn wir als Körperschaft des öffentlichen Rechts wie die christlichen und jüdischen Glaubensgemeinschaften anerkannt werden. Das Grundgesetz gebietet in Artikel 3 die Gleichbehandlung unabhängig von religiöser Anschauung. Die Anerkennung ist deshalb überfällig, aber sie wird den deutschen Staat eine Menge Geld kosten. Und daher fehlt der politische Wille zu deren Umsetzung.
Sie sind im Februar 2010 erneut verhaftet worden, kurz nachdem sie vollständig rehabilitiert wurden. Wie kam es dazu?
Da die Presse über meine Rehabilitation schwieg, gab ich nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Annoncen in regionalen und überregionalen Zeitungen und im Internet in Auftrag, um die Menschen über die Aufhebung des falschen Urteils zu informieren. Alle Anzeigen habe ich selbst bezahlt. Jedoch kam es in einem Fall zu einer Rücklastschrift, so dass kurzzeitig eine Summe von 23.000 Euro für eine Annonce offen war. Dieser offene Posten wurde mit einem neuen Abbuchungsauftrag jedoch umgehend beglichen. In einem Interview mit dieser Zeitung sprach ich den Redakteur darauf an, dieser ging jedoch nicht darauf ein.
Die Staatsanwaltschaft begann nun aber selbständig Ermittlungen aufzunehmen, da mir unterstellt wurde, ich hätte die private Anzeige durch Gelder der Islamischen Religionsgemeinschaft bezahlt und damit Vermögen veruntreut. Dieser Vorwurf war konstruiert! Weiterhin warf mir die Staatsanwaltschaft vor, dass ich Rechnungen für drei Fahrzeuge und Elektronikartikel nicht bezahlt hätte. Offene Rechnungen werden im Normalfall nach mehrfacher erfolgloser Mahnung an Inkasso-Firmen zur Einziehung weitergereicht. Zuständig sind dabei Zivilgerichte. Warum die Staatsanwaltschaft hier in einer Strafsache ermittelte, wo doch nicht einmal eine Strafanzeige eines der angeblich Geschädigten vorgelegen hat, ist mir unerklärlich! Die Vermutung einer inszenierten Strafverfolgung liegt doch sehr nahe.
EIN EMOTIONALER STAATSANWALT
Haben Sie für Ihre Anschuldigung weitere Indizien?
Am Tage nach meiner Verhaftung beantragte mein Anwalt, der einer der besten Anwälte Deutschlands ist, Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft. Als er im Nebenzimmer des ermittelnden Staatsanwaltes die Akten einsah, hörte er, wie ein anderer Staatsanwalt das Büro betrat und seinen Kollegen fragte: „Habt ihr das Schwein also endlich erledigt?“ Er wusste ja zu diesem Zeitpunkt nicht, dass mein Anwalt sich im Nebenzimmer aufhielt. Als mein Anwalt daraufhin die Tür öffnete, verließ dieser Staatsanwalt den Raum in großer Eile wieder. Diese Beleidigung spricht aber auch für eine große persönliche Abneigung gegen mich, die scheinbar ein professionelles Handeln verhindert, weil die Person sich von ihren Emotionen beeinflussen lässt.
Oder ein anderes Beispiel: Zwei Wochen nach meiner Verhaftung beschimpfte bei meinem Haftprüfungstermin der leitende Staatsanwalt meinen Anwalt dergestalt, dass sogar der Richter seine Ablösung befürwortete und sich an seinen Vorgesetzten wandte. Dies ist ein Vorgang, der rechtlich praktisch unmöglich ist, hier aber selbst dem Richter geboten schien. Da sein Vorgesetzter keinen anderen Staatsanwalt einsetzen konnte, der mit der Materie vertraut war, bot er an, selbst als eine Art „Dienstaufsicht“ an den Terminen der Hauptverhandlung teilzunehmen, um zu verhindern, dass noch „mehr Öl ins Feuer gegossen wird“.
Man stelle sich also vor: Der Oberstaatsanwalt nimmt an 11 Hauptverhandlungsterminen neben seinem Staatsanwalt Platz, um sicherzustellen, dass dieser sich ordnungsgemäß verhält! Auch hier scheint das Agieren des Staatsanwalts sehr emotional aufgeladen zu sein.
In der Hauptverhandlung haben mich dann alle Zeugen voll entlastet und die Vorwürfe haben sich als absolut haltlos herausgestellt. Ich wurde schließlich in allen Anklagepunkten frei gesprochen. Dies zeigt ebenso, dass der Prozess vor allem dazu dienen sollte, mich aus der Öffentlichkeit zu holen und meinen Ruf zu beschädigen.
Glauben Sie nach Ihren Erfahrungen noch an den deutschen Rechtsstaat?
Es fällt manchmal schwer, an Gerechtigkeit und eine unabhängige Justiz zu glauben. Die Fehler in den Verfahren gegen mich waren Ausdruck von Willkür. Dennoch ist der Rechtsstaat, den ich natürlich sehr schätze, eines der Grundprinzipien der Bundesrepublik Deutschland. Damit dieses Prinzip nicht ausgehöhlt wird, ist es nötig, eine strikte Kontrolle und wirksame Beschwerdemöglichkeiten zu etablieren. Nur so ist es möglich, zu verhindern, dass sich die Justiz – wie in meinem Falle geschehen – von Emotionen oder anderen Motiven leiten lässt. Ich habe in der Tat zu einigen Berliner Staatsanwälten und Richtern durch meine Beschwerden und Anträge in der Vergangenheit kein gutes Verhältnis. Es darf aber nicht sein, dass genau diese Personen in den Verfahren gegen mich ihre Macht nutzen und das Recht beugen, um an mir ein Exempel zu statuieren. Diese Form der Justiz hat nichts mehr mit einem Rechtsstaat zu tun, wie ihn das Grundgesetz vorsieht.
Sie haben die Worte des deutschen Bundespräsidenten angesprochen, wonach der Islam auch ein Teil Deutschlands sei. Wie beschreiben Sie die aktuelle Stimmung in Deutschland, wenn es um das Thema Integration geht?
Die Worte des Bundespräsidenten waren sehr wichtig, denn er würdigt, dass viele Muslime in Deutschland seit Jahren als gut integrierte Bürger leben. Sie sind ein Teil von Deutschland geworden und fühlen sich hier zu Hause. Dennoch ist die Stimmung in Deutschland momentan sehr aufgeheizt. Ein sachlicher Dialog, der sich mit den tatsächlichen Problemen befasst, ist so kaum möglich. Muslime stehen permanent mit dem Rücken zur Wand, müssen sich permanent für alles rechtfertigen, was einzelne tun und lassen. Warum werden alle Probleme immer auf die Religion reduziert? Muslime sind, wie alle anderen Bürger auch, keine eindimensionalen Wesen. Dies soll heißen, dass die Religion nur einer von vielen Faktoren ist, die das Handeln der Menschen beeinflussen. Muslime sind ebenso Familienväter oder Mütter, Schüler oder Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder Selbständige, Mitglieder eines Sportvereins oder Musiker, Einwohner einer Großstadt oder Dorfbewohner. Sie sehen, die Vielfalt von Identitäten ist unendlich. Man kann Menschen nicht auf eine einzige Identität, also den Islam, reduzieren. Wir müssen also stets das einzelne Individuum und seine Geschichte betrachten. Da können bei Muslimen ebenso soziale Probleme auftreten, wie bei anderen Menschen auch, ohne dass es eine Frage der Religion ist.
INTEGRATION IST KEINE EINBAHNSTRASSE
Welchen Beitrag kann die Islamische Religionsgemeinschaft dabei leisten?
Wir als Islamische Religionsgemeinschaft plädieren für einen deutsch-geprägten Islam. Imame und Religionslehrer dürfen nicht länger aus der Türkei oder den arabischen Ländern importiert werden, denn sie sind durch ihre eigenen Kulturen geprägt und können auf die Lebenswelt und Bedürfnisse der Muslime in Deutschland nicht angemessen eingehen. Nötig sind Imame und Religionslehrer, die in Deutschland ausgebildet und geschult werden, erste Initiativen gibt es mittlerweile ja an deutschen Universitäten.
Die Islamische Religionsgemeinschaft selbst und ihre Mitgliedsgemeinden haben bereits viele Aktivitäten im Bereich der Integrationsarbeit durchgeführt. Unsere Informationsangebote am Tag der offenen Moschee nutzen regelmäßig viele Berlinerinnen und Berliner, ebenso großes Interesse finden unsere Angebote, die sich an Frauen und Mädchen richten. Auch unser Projekt zur Eindämmung von Gewalt an Berliner Schulen fand große Resonanz. All diese Aktivitäten helfen dabei, eine freundliche Atmosphäre interkultureller Kontakte herzustellen und gegenseitige Vorurteile zu beseitigen. Transparenz ist uns dabei besonders wichtig. So sind auf unserer Website stets aktuelle Beiträge zu interessanten Themen und Medienberichten zu finden, aber auch die Veröffentlichung unserer auf deutsch gehaltenen Freitagspredigten soll zeigen, dass der Argwohn vieler Menschen gegenüber den Muslimen völlig unberechtigt ist.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Die Anerkennung der vollen Rechte der Islamischen Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts, um die sie seit ihrer Anerkennung im Jahre 1990 gegen viele Widerstände kämpfen muss, ist ein sehr wichtiges Ziel. Zudem möchten wir sehr gerne unseren Teil dazu beitragen, dass der Dialog der Religionen in Deutschland wieder eine sachliche Grundlage erhält. Nur so lassen sich die Vorurteile und Ängste abbauen, die auf beiden Seiten vorhanden sind und in der momentan aufgeheizten Atmosphäre die Debatte dominieren. Toleranz und Miteinander statt Abgrenzung und Misstrauen muss die Devise lauten. Da sind Muslime und die deutsche Politik und Öffentlichkeit gleichermaßen gefordert!
Ich habe mir aber auch ein persönliches Ziel gesteckt. Mein Familienleben hat unter der erneuten Strafverfolgung sehr gelitten, so dass ich mich nun verstärkt um meine Frau und meine Tochter kümmern möchte. Aber auch meine Eltern in der Türkei brauchen meine Hilfe.
Herr Prof. h.c. Dr. jur. Vural, wir danken Ihnen für dieses Interview.
Oktober 2010